Rückblick Busan 2013

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Zurück in Mainz. Nach 14 Tagen Global Ecumenical Theological Institute (GETI) und 10 Tagen ÖRK-Vollversammlung liegt mir der Geschmack von Kimchi noch immer auf der Zunge. Ich bin noch immer erfüllt von vielen Begegnungen und Erlebnissen. Wenn ich die Ereignisse der letzten beiden Wochen sortiere, dann bleibt mit persönlich besonders intensiv der Reichtum an Geschichten in Erinnerung, die mir von meinen neugewonnen ökumenischen Freunden erzählt wurden. Ein evangelikaler Palästinenser, der eine Tagung „Christ at the Checkpoint“ organisiert. Eine Frau von der Insel Raiatea in Maohi Nui (Französisch-Polynesien), die von den Folgen französischer Atomtests im Pazifik erzählt. Ein koreanischer Theologiestudent, der nach seinem Studium noch eine Lehre als Zimmermann absolvíeren möchte, um anschließend Pfarrer einer Minjung-Gemeinde zu werden; wie Paulus möchte er seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Ich glaube, dass das den Kern des ökumenischen Gedankens ausmacht: Das Teilen von Geschichten über Glauben und Leben, Kampf und Hoffnung, Liebe und Solidarität. Alles andere baut darauf auf – und ist deswegen nicht weniger relevant. So möchte ich in aller Kürze einen Überblick geben über die Themen, Ereignisse und Beschlüsse, die aus meiner Sicht die Vollversammlung in Busan geprägt haben.

 

Korea

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Immer wieder wurde betont, dass Korea das einzige geteilte Land der Welt sei. Unter den in Busan geäußerten Stimmen war ganz eindeutig der Wunsch nach einem Friedensvertrag und dem Ende der Teilung zu hören. Das hat auch die Vollversammlung in einer offiziellen Stellungnahme gefordert. Ein u.a. von der EKD geforderter Passus zur Kriegsdienstverweigerung, die weder in Süd- noch in Nordkorea möglich ist, wurde leider nicht in die Stellungnahme aufgenommen.  

 

 

Peace Train

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Besonders eindrucksvoll waren die Berichte der Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Reise des Peace Train. Eine bunt gemischte Gruppe ökumenischer Pilger begab sich bereits am 6. Oktober auf die Fahrt von Berlin über Moskau, Irkutsk, Beijing und Seoul nach Busan. Geplant war ursprünglich, auch durch Nordkorea zu fahren, dies wurde aber von der Regierung in Pjöngjang nicht erlaubt. Der Peace Train nimmt das Motiv des Pilgerweges auf und stellt eine Verbindung vom wiedervereinten Deutschland zum noch getrennten Korea her. Auch wenn sich Deutschland und Korea sicher nicht so leicht vergleichen lassen: Ein starkes Zeichen für Frieden auf der koreanischen Halbinsel.

 

Just Peace

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Mit dem Motto „God of life, lead us to justice and peace“ wurde die zentrale Botschaft der Internationalen Ökumenischen Friedenskonvokation von Jamaica ("Just Peace") auch nach Korea getragen. Es hat die Versammlung deutlich geprägt und auch die Botschaft von Busan ruft dazu auf, den Pilgerweg von Gerechtigkeit und Frieden zu gehen. In einem gesondereten Statement on the Way of Just Peace hat sich die Vollversammlung das Abschlussdokument von Kingston zu eigen gemacht und einige konkrete Empfehlungen ausgesprochen: Zum Beispiel wurden die Mitgliedskirchen aufgefordert, Kommunikationsstrategien zu entwickeln, die Frieden und Gerechtigkeit fördern, die die Hoffnung auf Veränderung („Transformation“) verkünden, und vor den Mächtigen die Wahrheit aussprechen. Das sieht auf den ersten Blick nicht besonders spektakulär aus. Der ÖRK hat schon immer viel über Frieden und Gerechtigkeit geredet. Auf den zweiten Blick kann es aber sicher nicht oft genug gesagt werden, wie wichtig für die Kirchen ein glaubwürdiges Plädoyer und ein engagiertes Handeln für einen umfassenden Schalom ist. Ich bin gespannt, welche konkreten Früchte dieser Aufruf in den deutschen Kirchen trägt.

 

Klimawandel

Sehr betroffen hat mich derImage preview Workshop „Climate Induced Displacement: Where’s climate justice?“ gemacht. Dort haben Teilnehmer aus dem Pazifik von den Folgen des Klimawandels berichtet. Man hört ja auch in Deutschland immer wieder davon, dass Inseln und Küstenregionen unbewohnbar werden. Bisher dachte ich, dass sich dies (noch) auf die Zukunft bezieht. In dem Workshop wurde aber von dem Dorf Vunidogoloa auf der Fiji-Insel Vanua Levu erzählt. Seit einigen Jahren wurde das Dorf mit seinen 122 Einwohnern immer wieder überflutet. Nun haben sich die Bewohner entschlossen, gemeinsam an einer anderen Stelle ein neues Leben zu beginnen. Weiter im Landesinnern und höher gelegen entsteht nun das neue Dorf Kenani, auf Fidschi bedeutet das "Kanaan", das gelobte Land. Ein Dorf von einer Küstenregion in das Landesinnere umzusiedeln, erscheint durchaus machbar. Aber was soll geschehen, wenn das Wasser weiter steigt und weitere Dörfer betroffen sind? Und wie sieht die Zukunft von Dörfern aus, die auf einem Atoll des Inselstaates Tuvalu liegen, dessen höchste Erhebung noch nicht einmal fünf Meter beträgt? Ohne Insel, so sagen die Leute auf Tuvalu, sind sie ein „Nicht-Volk“. Es ist aus europäischer Sicht schwer vorstellbar, was es bedeutet, wenn ein ganzes Volk seine komplette Lebensgrundlage entzogen bekommt. Haben wir es uns schon wirklich bewusst gemacht, dass unser Lebensstil mit dazu beigetragen hat? Noch haben die Menschen von den Inseln des Pazifiks die Hoffnung auf eine Zukunft in ihrer Heimat nicht aufgegeben. In Busan haben sie gesungen und getanzt. Doch als am gleichen Tag die Nachricht vom Taifun auf den Philippinen die Runde machte, wurde mehr als deutlich: Stop Climate Change NOW!

 

Neues ökumenisches Selbstverständnis

SchonImage preview seit längerer Zeit verfügt der ÖRK nicht mehr über die finanziellen Mittel wie noch in den 1970er und 1980er Jahren. Auch die EKD hat ihre Beiträge reduziert. Seit der Versammlung in Harare 1998 und der Veröffentlichung des Dokuments „Towards a common understanding and Vision of the WCC“ arbeitete der ÖRK daran, seine Rolle in der ökumenischen Bewegung neu zu definieren. Mein Eindruck ist, dass dieser Selbstfindungsprozess in Busan zu einem Abschluss gekommen ist: In dem von der Versammlung angenommen Bericht des „Programme Guidelines Committee“ ist davon die Rede, dass sich der ÖRK nicht allein als eine „Organisation“, sondern auch als eine Gemeinschaft („fellowship“) versteht. Programme können nicht mehr allein in der Genfer Zentrale entwickelt werden, sondern sollen zunehmend von den Kirchen selbst in die Hand genommen werden. Der Genfer Stab soll dann mehr die Rolle eines Koordinators einnehmen. Der relationale und polyzentrische Charakter der Ökumene soll damit stärker betont werden.  Für die Mitgliedskirchen bedeutet dies, selbst mehr ökumenische Verantwortung zu übernehmen. Angesichts der finanziellen Lage in Genf ist diese Neuausrichtung wohl unausweichlich. Es birgt jedoch auch Gefahren, wenn Macht- und Entscheidungszentren nicht mehr in einer von allen Seiten anerkannten ökumenischen Zentrale liegen, sondern bei einigen finanzstarken Mitgliedskirchen. Die EKD und andere Kirchen sind aufgerufen, ihre ökumenische Verantwortung in geschwisterlicher Solidarität wahrzunehmen.

 

Proteste

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Nicht alle koreanischen Kirchen haben sich über den Besuch der Weltkirche in Busan gefreut. Zahlreiche konservative presbyterianische Denominationen haben stattdessen zu Protesten vor dem Tagungsgebäude „BEXCO“ aufgerufen. Plakativ warfen sie dem ÖRK vor, den Kommunismus und Homosexualität zu unterstützen und Jesus als einzigen Weg zum Heil zu leugnen. Ähnlich den Vereinten Nationen und „anderen satanischImage previewen Organisationen“ wolle der ÖRK eine einheitliche Weltkirche schaffen. An einem Tag hatte ich eine kleine spontane „Bibelarbeit“ mit einer Teilnehmerin der Proteste, in der wir versuchten, unsere unterschiedlichen hermeneutischen Zugänge zur Bibel darzulegen. Wir verabschiedeten uns nach gut zehn Minuten mit dem Minimalkonsens, dass wir uns nicht gegenseitig das Christsein absprachen. Weniger verständnisvoll waren einige Protestteilnehmer, die beim Abschlussgottesdienst auf die Bühne stürzten und das Gebet unterbrachen. Auf bedrückende Weise wurde uns damit vor Augen geführt, dass die Christen in Korea noch weit von der Vorstellung der Einheit in Vielfalt entfernt sind.

                                                                        

 

Wahlen zum Zentralausschuss

Mit Judith Königsdörfer und Schulamit Kriener wurden zwei junge Delegierte aus Deutschland in den Zentralausschuss des ÖRK gewählt. Außerdem sind dort Bischof Martin Hein (Kurhessen-Waldeck), Pfrn. Anne Heitmann (Baden), die neue EKD Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber und Prof. Fernando Enns (Mennonitische Kirche) vertreten. Herzlichen Glückwunsch!

 

GETI

Was wird einem einfallen, wenn man in 30 Jahren auf die Versammlung von Busan zurückblickt? Image previewVielleicht wird es der Gerechte Friede sein, vielleicht das Ende der Phase der ökumenischen Selbstbesinnung. Den Überraschungscoup landete aber mit Sicherheit GETI, das ökumenische Studienprogramm, an dem auch ich teilnehmen durfte. Zunächst in Seoul, dann parallel zur Versammlung in Busan haben sich 170 Studierende und Promovierende aus evangelischen, katholischen, orthodoxen und pfingstlerischen Kirchen intensiv mit ökumenischen Themen befasst. Angefangen von kontextueller koreanischer Theologie über die Frage nach der Präsenz Gottes in der Welt und der ökumenischen Bewegung bis zu Frage nach einem zeitgemäßen Verständnis von Mission. Während GETI in den offiziellen Vorbereitungsbänden der Versammlung fast überhaupt nicht auftaucht, haben im Laufe der Versammlung immer mehr Leute davon gesprochen. Sowohl die Dozierenden als auch die Studierenden haben sich dafür eingesetzt, dass GETI zu einem festen Programmbestandteil des ÖRK wird – mit Erfolg! Durch eine Eingabe des mennonitischen Delegierten Fernando Enns wurden Vertreter von GETI in die Planungen eines neuen Netzwerks zur ökumenischen Bildung eingebunden. Vielleicht ist dies ein Ansatzpunkt, um ökumenische Themen auch an deutschen theologischen Fakultäten wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken.

Ich könnte noch viele andere Themen nennen, die mich in Seoul und Busan bewegt haben. Sei es die Annäherung an die evangelikalen Kirchen, die sich z.B. in einem gemeinsamen Dokument zur Mission gezeigt hat, oder die Frage nach der Stellung von sexuellen Minderheiten in den Kirchen, die so strittig war, dass man im Rahmen der offiziellen Tagesordnung darüber nicht reden durfte (auf den Fluren aber dafür umso mehr). Vermisst habe ich auch die Frage, was es denn mit dem "Gott des Lebens" auf sich hat, der uns zu Frieden und Gerechtigkeit führen soll. Was für ein Gottesbild steht hinter dieser Vorstellung eines "Pilgerführers"? Leider war davon nur wenig die Rede. Gerade auch angesichts einiger ermutigender Entwicklungen in Sachen Frieden und Gerechtigkeit, wäre es interessant, der Frage nachzugehen, in welcher Weise Gott in der Geschichte tätig ist und ob Gott die Menschheit an einigen Stellen vielleicht bereits zu mehr Frieden und Gerechtigkeit geführt hat. Dann wäre neben der zweifellos notwendigen Klage und Buße auch Platz für Dank gewesen in Busan – z.B. dafür, dass sich der Anteil der Menschen, die weltweit in extremer Armut leben, seit dem Jahr 2000 halbiert hat. Michael Kinnamon hat dazu in einer GETI-Lecture einige interessante Gedanken geäußert.

Hiermit will ich es bewenden lassen. Ich habe in Korea (mal wieder) gelernt: Es gehört zum Christsein, ökumenisch zu sein; Ökumene gehört als Ausdruck der Katholizität der Kirche zu den grundlegenden Kennzeichen der Kirche. Nach vielen Jahren, in denen sich die deutschen Kirchen im Reformeifer mit sich selbst befasst haben, sollten wir es wieder wagen, über den eigenen Kirchturm hinaus zu blicken. Wir werden bereichert werden.