Kirche im Schussfeld: Die Diskussion über Ehe und Familie von Klara Butting

Im Juni 2013 ist die EKD-Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ erschienen und hat erschreckende Reaktionen ausgelöst. Kritiker/innen vermissen in dem Papier ein Bekenntnis zur Ehe als göttlicher Stiftung und wollen den Familienbegriff für die traditionelle Konstellation Vater und Mutter mit eigenen Kindern reserviert wissen. Dabei inszenieren sie sich als diejenigen, die die Sprache des Glaubens wahren und der Bibel die Treue halten, während die EKD „schlampig mit ihrer religiösen Substanz“ umgeht (FAZ) und die „Sprache des Glaubens in Schwammigkeiten abrutscht und nur noch der Gesellschaftsrealität hinterher zu schlittern vermag“ (Die Welt). Eine Erklärung, die nicht herrscht über anderer Leute Glaube und Leben, sondern auf die Not der Menschen reagiert, ruft Widerstand hervor.

Sprachgewalt

Der Streit ist Chefsache bei ideaSpektrum. Idea-Leiter Helmut Matthias erhebt die absurde Forderung, die EKD solle ihren Fehler eingestehen und erklären „Wir sind für Familie“ (ideaSpektrum 26/2013,10). Absurd ist dieses Ansinnen angesichts eines Textes, der schon im Untertitel seine Absicht ausspricht, „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ zu wollen. Das eingeforderte Bekenntnis „Wir sind für Familie“ will weder schützen noch stärken, und es will auch nicht denen, die sich um Pflege und Erziehung von Kindern sorgen zu Gute kommen. Die Macht der Definition soll gesichert werden. Eine Norm wird umkämpft, angesichts der die Abweichlerinnen und Abweichler sich defizitär wissen sollen. Zwei Frauen, die mit Kindern zusammenleben, dürfen nicht Familie heißen. Im Namen der Bibel wird diese Hierarchie zwischen „uns“, die wir es richtig machen, und „den Anderen“, die nicht dazu gehören, verteidigt.

Die biblische Glaubensüberlieferung berichtet von solchen Hierarchien – aus der Perspektive der Ausgegrenzten! Sie findet starke Worte, um die Gewalt einer gesellschaftlichen Elite zu beschreiben, die herrscht, indem sie die Sprache prägt: „Sie sprechen:‚Unsere Zunge ist unsere Macht! Unsere Lippen sind mit uns, wer sollte über uns herrschen?’" (Psalm 12,5). Die Sprache ist eine gesellschaftliche Institution, die die Macht, den Dingen ihren Namen und ihren Platz zu geben. Wer Zugang zu den öffentlichen Diskursen hat, kann die eigenen Lebensvorstellungen buchstäblich allen in den Mund legen. Die Beterinnen und Beter in Psalm 73 beschreiben den Missbrauch dieser Macht durch die herrschende Elite und klagen: „Sie setzen an den Himmel ihren Mund, und ihre Zunge ergeht sich auf der Erde“ (Psalm 73,9). Beschrieben wird eben der Zugriff auf den Himmel, um den die Kritiker/innen des EKD Papiers kämpfen. Die Verheißung des Himmels, dass die Erde für alle Kinder ein guter Ort zum Wohnen werden wird, wird zum „christlichen Familienbegriff“, der die mütterliche und väterliche Sorge vieler Menschen totschweigt und damit eine Vielzahl von Kindern ausgrenzt.

Das EKD Papierverweigert diesen Zugriff auf den Himmel, indem es die Vielstimmigkeit der Bibel darstellt. Die Autorinnen und Autoren arbeiten heraus, „dass die Bibel im Alten und Neuen Testament das familiale Zusammenleben in einer großen Vielfalt beschreibt. Nach heutigen Begriffen gibt es Patchwork-Konstellationen wie bei Abraham, Sarah und Hagar mit ihren Kindern, zusammenlebende Geschwister wie bei Maria und Martha und tragende Beziehungen zwischen Familienmitgliedern verschiedener Generationen wie bei Rut, Orpa und Noomi. Von den vielfältig beschriebenen Formen des Zusammenlebens sind aus heutiger Sicht einige leichter, andere schwerer nachvollziehbar: Die gleichzeitige Sorge eines Mannes für zwei Frauen und ihre Kinder wie bei Jakob mit Lea und Rahel erscheint heute vielleicht weniger befremdlich als noch unserer Eltern- oder Großeltern-Generation, dagegen können wir den Druck auf Frauen, Mutter eines ’Stammhalters’ zu werden, immer weniger nachvollziehen“ (56f.) Eine Vielzahlt von Traditionen und Stimmen aus unterschiedlichen Zeiten und Kontexten sind in der Bibel gesammelt. Bibel lesend werden wir Zeuginnen und Zeugen der Gespräche, die unsere Vorgängerinnen und Vorgänger im Glauben über Generationen hinweg miteinander führen. Ihren Gesprächen lauschend werden wir hineingenommen in ihre Suche nach den Wegen Gottes.

Angriffsziel Bibel

Die „Schöpfungsordnung Ehe“ ist der Siemens Lufthaken, der nötig ist, um den Himmel zu besetzen. Das EKD-Papier schiebt dieses Machtinstrument ganz unaufgeregt beiseite: „Ein Verständnis der bürgerlichen Ehe als ‚göttliche Stiftung‘ und der vorfindlichen Geschlechter-Hierarchie als Schöpfungsordnung entspricht weder der Breite biblischer Tradition noch dem befreienden Handeln Jesu, wie es die Evangelien zeigen“ (59). Daraufhin ist nicht nur in evangelikalen Kreisen, sondern auch in Teilen der bürgerlichen Presse ein Sturm der Entrüstung ausgebrochen. Dass evangelikale Positionen in der bürgerlichen Presse Unterstützung finden, ist zunächst überraschend. Denn Partnerschaften von Lesben und Schwulen und Patchwork Konstellationen gibt es auch in politisch konservativen Kreisen und unsere Verfassung gibt ihnen Raum und Recht. Trotzdem empören sich FAZ und die Welt über „konsequente Gleichstellung“. Sie erwarten von der Kirche eine Bibel, in der Homosexualität abgelehnt wird und werfen den Autor/innen der Orientierungshilfe vor, sie würden „die weitaus überwiegende Ablehnung der Homosexualität in den biblischen Schriften herunter(spielen)“ (FAZ, 18.6.2013). Trotz gelebter gesellschaftlicher Vielfalt wollen sie eine Bibel, die Hierarchien unter Lebensformen und Geschlechtern tradiert – insofern erinnert das Geschrei um das EKD Papier an die Empörung, die dem Erscheinen der Bibel in gerechter Sprache folgte. Die Bibel muss hergeben, dass die Ehe von Mann und Frau zu unserer menschlichen Bestimmung gehört.

Tatsächlich lenken die bei uns gebräuchlichen Bibelübersetzungen schon in der Schöpfungsgeschichte die Gedanken in Richtung auf die Ehe, wenn wir lesen: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde,zum Bilde Gottes schuf er ihn; undschuf sie als Mann und Frau“ (1 Mose 1,27) – so der Luthertext. Die Elberfelder Bibelübersetzung vermerkt: Wörtlich heißt es – statt „Mann und Frau“ – „männlich und weiblich“, aber auch dort lesen wir: „Er schuf sie als Mann und Frau“ – als hätte Gott ein Ehepaar erschaffen. Mann und Frau sind sozial geprägte Begriffe, die sich sofort mit bekannten Beziehungsformen verknüpfen. In der Schöpfungsgeschichte begegnen die Begriffe nicht. Es wird offener, vieldeutiger formuliert. In der Bibel in gerechter Sprache übersetzt: „Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen.“ Das Wort Adam kann „Mensch“ oder „Menschheit“ bedeuten. Hier bezeichnet es einen Plural, hat also die Bedeutung „Menschheit“. Eine Vielfalt wird geschaffen. Eine Vielfalt wird charakterisiert durch die Geschlechter „männlich“ und „weiblich“. Eine Vielgestalt soll zu einer Einheit werden, Bild des Einen Gottes. Das ist das Projekt der Schöpfung. Liebesgeschichten spielen dabei eine wichtige Rolle, doch zunächst steht etwas anderes im Vordergrund. In der Antike beanspruchte der König mit dem Titel „Bild Gottes“ Gott zu repräsentieren und an Stelle Gottes zu herrschen. Es geht um Weltregiment und Weltgestaltung! Schon bevor die Menschen die Bühne betreten hören wir Gottes Plan, Menschen zu machen „als unser Bild, etwa in unserer Gestalt. Sie sollen herrschen …über die ganze Erde“ (1,26). Eine revolutionäre Geschichte wird erzählt. Der Titel „Bild Gottes“ wird allen Menschen verliehen. Die Bibel enteignet den Herrschaftsanspruch weniger und spricht die Regierungsverantwortung allen zu. Dadurch wird die Herrschaft von Menschen über Menschen ausgeschlossen. Diese Schöpfungsgeschichte, die Kronzeugin ist für das biblische Engagement für Gleichberechtigung und Befreiung, machen die selbsternannten Verteidiger/innen der Bibel mit ihrer Schöpfungsordnung Ehe zu einer Quelle von Diskriminierung! Eine göttliche Stiftung, die Mann und Frau von Anbeginn der Welt die Ehe verordnet, muss die revolutionäre Kraft der Bibel depotenzialisieren. Und wehe, wenn die Kirche die ihr zugedachte Rolle nicht erfüllt und plötzlich die befreiende Botschaft der Bibel zu Gehör bringt! Mit Sprachgewalt wird ihr jeglicher gesellschaftlicher Einfluss bestritten. Fernsehnmoderator Peter Hahn eröffnete diesen Versuch mit der Suggestion, die EKD surfe auf den „Wanderdünen des Zeitgeistes endgültig ins Abseits und hat es final geschafft, von niemandem mehr ernst genommen zu werden“(ideaSpektrum 26/2013, 8). Die Welt spekuliert über dieses gesellschaftliche Abseits: „Wer wird am Ende die Christen vertreten? Die sich an ihren Ursprüngen orientierende katholische Kirche oder die ins postmoderne Anything Goes diffundierte EKD?“ (19.6.2013).

Ehe und mehr

Gleichheit ist gefährlich – und auch die Kirche, die davon erzählt. Denn „mit der Entdeckung der Rechtfertigung und Gleichheit aller ‚Kinder Gottes‘ (Galater 3,26-28) gewannen Christinnen und Christen die Freiheit, die Schicksalhaftigkeit familiärer und sozialer Bindungen aufzulösen, den eigenen Lebensentwurf zu gestalten, der eigenen Berufung zu folgen und sich aus eigener Entscheidung in neue Bindungen zu stellen.“ (61) Unerhört! “Wer überlegt, ob er heiraten soll, bekommt durch die EKD Argumente, es besser sein zu lassen“ entrüstet sich idea-Leiter Helmut Matthies – und verschweigt, dass das Papier nur Paulus referiert, der Unverheiratete für gemeinschaftsfähiger hält. Dabei leugnet das EKD Papier nicht, dass das Miteinander in einer Ehe in den biblischen Geschichten eine wichtige Rolle spielt. Von alters her gibt es auch Traditionen, die Ehe und Schöpfung zusammenlesen. So argumentiert z.B. Jesus in einem Streitgespräch über Ehescheidung: „Von Uranfang der Schöpfung her aber hat er (Gott) sie männlich und weiblich gemacht. Deswegen wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und an seiner Frau haften. Und es werden die zwei zu einem Fleisch. Was nun Gott zusammengetan hat, das soll der Mensch nicht scheiden“ (Markus 10,6-9).Das Schöpfungsprojekt, dass Menschen sich einigen und Einigkeit auf Erden gestalten sollen, erfüllt sich, wenn ein Mann und eine Frau zusammen leben. Kein Mensch soll deshalb störend dazwischen treten. Doch die Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau ist nicht die einzige Form, in der die Schöpfungsvision von versöhnter Gemeinschaft gelebt wird.

Paulus z.B. redet anders. Dabei liest auch er in der Schöpfungsgeschichte, dass Gott mit der Erschaffung der Menschen eine Geschichte der Versöhnung eröffnet hat, die auf die Einigung von „männlich und weiblich“ zielt. Doch diese Versöhnung erfülle sich laut Paulus nicht in der Ehe. Er zitiert die Schöpfungsgeschichte wenn er an die Gemeinden Galatiens schreibt: In Christus – „da gibt es keine Juden und Jüdinnen oder Griechinnen und Griechen, da gibt es keine Sklavinnen und Sklaven oder Freie, da gibt es nicht männlich und weiblich. Denn alle seid ihr eins – in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Die Schöpfung Gottes „männlich und weiblich“ wird zitiert und ihre Bestimmung wird erinnert. Sie zielt auf: „nicht mehr männlich und weiblich, sondern eins“. Diese Einheit, auf die Gott in der Schöpfung aus ist, erfüllt sich nach Paulus dort, wo Menschen in der Nachfolge Jesu aus Gewaltverhältnissen aussteigen und neue egalitäre Gemeinschaftsformen erproben. Paulus hat erlebt, dass in der Nachfolge Jesu grenzüberschreitende Gemeinschaft entstanden ist. Freie Frauen und Männer haben mit Sklavinnen und Sklaven Brot geteilt. Juden und Jüdinnen haben von Leuten aus den Völkern Akzeptanz erfahren, und die Geschlechterdifferenz bestimmt nicht Lebenswege und Lebensplanung.

Vielfalt, nicht Beliebigkeit

Die Vielstimmigkeit der Bibel meint nicht Beliebigkeit. Die biblische Botschaft zielt auf Verbindlichkeit. Diese Verbindlichkeit entsteht nicht durch die Verwandlung biblischer Geschichten in ewige Lebensordnungen. Verbindlichkeit entsteht durch Verbundenheit. Die Bibel verbindet uns mit dem Gott Israels. Sie nimmt uns in eine Generationen übergreifende Suche nach Frieden und der Gerechtigkeit mit hinein und zielt darauf, dass wir in unserem Kontext Gottes Ruf hören und tun. Dabei schult die Vielgestalt der überlieferten Traditionen und Kontexte, dass wir unseren Kontext wahrnehmen und seine Heraufforderungen beschreiben lernen. Hier liegt die Stärke der Orientierungshilfe. Sie macht deutlich, dass familiäres Zusammenleben gefährdet ist, „wenn wirtschaftlicher Druck, Zeitknappheit, kulturelle Normen keine Rücksicht auf diese so wichtige, oft aber auch asymmetrisch geteilte Verantwortung und Sorge füreinander nehmen“ (70). Im Gespräch mit der Überlieferung und der Not unserer Zeit fordern die Autorinnen und Autoren, das Gebotene zu tun, nämlich „das fürsorgliche Miteinander von Familien zu stärken – das gilt im Blick auf Zeit für Erziehung und Pflege genauso wie im Blick auf sozialpolitische und steuerliche Aspekte der Familienförderung und die Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Dabei müssen heute alle Formen, Familie und Partnerschaft zu leben, berücksichtigt werden. Im Wandel der Lebensformen, der auch die Stärke von Familie ausmacht, bleiben die wechselseitigen Bindungen, die Familie konstituieren, auf gesellschaftliche und institutionelle Stützung angewiesen“ (70). Ich freue mich über diese Orientierungshilfe. Sie ist ein Zeichen, dass die befreiende Kraft Gottes sich immer wieder gegen religiöse Herrschaftsbilder durchsetzt, und wir im Gespräch mit der Bibel diese befreiende Kraft erfahren.

Prof. Dr. Klara Butting

leitet das Zentrum für biblische Spiritualität und gesellschaftliche Verantwortung an der Woltersburger Mühle. Sie ist eine der Herausgeber/innen der Jungen Kirche

Woltersburger Mühle 1, 29525 Uelzen

klarabutting@t-online.de