Pilgerweg: Wirtschaft mit Theologie weiterbringen

Bericht von einem internationalen Kurs in Hongkong
von Gustav Theile

Wirtschaft ist, was Bänker machen. Oder all diese BWLer. Es geht um Profit, Effizienz, Rationalität und all diese Sachen, die an der Börse stattfinden und kein Mensch mehr versteht. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man den Wirtschaftsteil der Zeitung aufschlägt oder Ökonomen zuhört. Wen wundert es da noch, dass wir glauben, dass es auf viele ökonomische Fragen keine Antworten mehr gibt: Steuerparadiese, Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Wachstum. Wir überlassen das besser den Ökonomen.

Das tun wir besser nicht. Denn Wirtschaft ist, was wir draus machen – als Gesellschaft, als Staat, als Weltbevölkerung. Sie ist das Ergebnis unserer täglichen Handlungen. Wenn wir ein Stück Butter kaufen oder den Zug zur Arbeit nehmen.

All diese kleinen Handlungen von jedem von uns summieren sich auf zu dem, was wir am Ende die Wirtschaft oder die Volkswirtschaft nennen. Einige bewegen mehr Geld durch die Gegend, andere weniger. Aber das rechtfertigt nicht, dass wir so tun, als ginge es bei wirtschaftspolitischen Maßnahmen nur darum, rein technokratisch das Wachstum zu maximieren.

Denn das betrifft uns alle. Und in den allermeisten Fällen geht es um: Wer kriegt was? Also müssen wir diese Maßnahmen öffentlich diskutieren, wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft demokratisch funktioniert.

Das heißt aber auch, dass es keine quasi-naturwissenschaftlichen ökonomischen Gesetze gibt. Denn wenn wir uns kollektiv entscheiden oder es einfach passiert, dass wir Dinge anders machen, dann wird das Ergebnis ein anderes sein. Gesellschaften verändern sich. Öffentliche Stimmungen verändern sich. Normen und Werte verändern sich. Und all diese Veränderungen beeinflussen die Wirtschaft und die Ergebnisse von wirtschaftspolitischen Maßnahmen.

Diese komplexen Gesellschaften kann niemand verstehen, der nur einen einzigen analytischen Standpunkt kennt. Wissenschaftliche Theorien sind wie Linsen, durch die wir die Welt betrachten.

Und dann kann man natürlich die kalten Linsen der Ökonomen nehmen und annehmen, dass Menschen egoistisch und rational sind. Das ist häufig genug plausibel. Nichtsdestotrotz ist das ein sehr einseitiges Menschenbild. Man kann aber auch die Linsen der Ethik oder der Theologie nehmen, um ökonomisches Handeln zu analysieren. Vielleicht können diese Menschenbilder ja etwas beitragen, um unser ökonomisches Handeln zu erklären? Vielleicht gebe ich einem Bettler nicht nur deshalb etwas Geld, weil es mir danach bessergeht? Vielleicht spielt da auch noch eine gewisse Nächstenliebe eine Rolle?Man kann auch davon ausgehen, dass Gesellschaften immer nach Wirtschaftswachstum streben sollen. Aber man kann auch argumentieren, dass Wirtschaftswachstum nicht mit Glück, Gerechtigkeit oder gutem Leben gleichgesetzt werden kann. Oder man fragt, ob die Wirtschaft vielleicht schon viel zu viel gewachsen ist, als dass die Erde noch mit dem Ressourcenverbrauch der Menschheit klarkäme.

Das alles würde einen Wandel in unserem Wirtschaftsdenken bedeuten. Es ginge nicht mehr um Effizienz und Profit. Es ginge um unser aller Leben.

Diese Botschaft kann befreien. Es hängt nur von uns ab, wie wir die Wirtschaft gestalten. Und sie kann genau so sein, wie wir sie haben möchten. Wir müssten nur darüber reden, welche Wirtschaft wir eigentlich wollen. Und deshalb sind Ethik und Theologie mindestens ebenso wichtig für unsere Wirtschaft wie Rationalität, Profit und Effizienz. Die Kirchen haben deshalb in dieser Debatte ein Wörtchen mitzureden. Christen aus aller Welt haben zu ökonomischen Themen nicht trotz, sondern wegen ihres Glaubens etwas beizutragen.

Und deshalb gab es im August 2016 ein ökumenisches Seminar für Leitung, Wirtschaft und Management in Hongkong. Das war organisiert vom Ökumenischen Rat der Kirchen. Wir sind dort aus aller Welt zusammengekommen: Eine Theologie-Professorin aus den USA, der Erzbischof der Anglikanischen Kirche in Südafrika, der Generalsekretär einer Kirche in Indonesien mit über 300.000 Mitgliedern, der Generalsekretär des Fellowship of Christian Councils and Churches in West Africa, zwei Mitgliedern des Leitungsgremiums der weltweiten Jugendorganisation der Orthodoxen Kirche. Insgesamt waren wir 15 Teilnehmende, die für diese zwei Wochen zusammen studiert haben, angeleitet von insgesamt zehn Dozierenden, darunter beispielsweise der Generalsekretär der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen, eine feministische Ökonomin aus den Philippinen, ein Professor für ökologische Ökonomik aus Ecuador und ein Ökonomieprofessor von der kirchlichen Hochschule in Wuppertal/Bethel.

Erst haben wir uns damit beschäftigt, wie Wirtschaft üblicherweise gelehrt wird, wo diese Denkweise ihre Stärken hat und wo ihre fundamentalen Schwächen. Sie ist sehr gut darin, wirtschaftliche Situationen zu analysieren, in denen die Menschen strikt nach ihrem monetären Eigennutz handeln. Dass das aber nur einen klein Teil des ökonomischen Handelns erklärt, ist wohl offensichtlich. Wir haben dann andere theoretische Linsen kennengelernt, die uns helfen, die Wirtschaft zu verstehen: Feministische Ökonomik, ökologische Ökonomik, kulturelle Ökonomik und die Ethik der Ökonomik. Uns wurde schnell klar, dass diese Ansätze einem christlichen Menschenbild häufig näher sind als das der traditionellen Ökonomik. Feministische Ökonomik beispielsweise versteht ökonomisches Handeln nicht als den Einsatz knapper Ressourcen für den optimalen Zweck, sondern als Versorgungsleistung. Damit ist die Versorgungsleistung in Haushalten und Familien übrigens Voraussetzung der Wirtschaft und sollte von der Wirtschaftswissenschaft einbezogen werden. Die ständige Suche nach dem eigenen Vorteil ist nur schwerlich mit einem christlichen Menschenbild vereinbar. Die Sorge um den Mitmenschen, wie sie im Begriff der Versorgungsleistung zum Ausdruck kommt, ist sehr viel näher an der Idee der Nächstenliebe.

Danach haben wir uns gefragt, wie wir zu einer Veränderung des ökonomischen Denkens beitragen könnten. Wir haben in kleinen Gruppen Projekte entwickelt: Ein Handbuch, das ökonomische Fragen aus theologischer Sicht behandelt, ein Indikator für menschliche Würde, der das Bruttoinlandsprodukt ersetzen könnte, oder ein Programm, mit dem wir anfangen könnten, die Lehrpläne ökonomischer Fakultäten in christlichen Universitäten weltweit zu verändern.

Es ist also ganz klar: Die Theologie bringt wertvolle Einsichten für unser Wirtschaftsdenken. Wenn wir es richtig angehen, sind Theologie und Ökonomik keine Widersprüche. Sie inspirieren einander.

Gustav Theile (24) studiert Wirtschafts- und Politikwissenschaften in Tübingen. Er ist in der Brüdergemeine Neudietendorf zu Hause.

Auf Englisch ist der Beitrag auf dem WCC-Pilgrimage-Blog zu finden. Ein ausführlicher Artikel zum Thema erschien im Presbyterian Outlook.